Folge 43 - An das Baby, Mutterns Hände (Kurt Tucholsky)
Lyrikschule - A podcast by Johannes Thiele
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Zwei Gedichte von Tucholsky - von der Wiege bis zur Bahre. Es war an der Zeit, diesem umtriebigen Dichter auch hier einen Platz zu geben und zu zeigen, dass er und seine Texte immer noch heutig sind. An das Baby Alle stehn um dich herum: Photograph und Mutti und ein Kasten, schwarz und stumm, Felix, Tante Putti … Sie wackeln mit dem Schlüsselbund, fröhlich quietscht ein Gummihund. „Baby, lach mal!“ ruft Mama. „Guck“, ruft Tante, „eiala!“ Aber du, mein kleiner Mann, siehst dir die Gesellschaft an … Na, und dann – was meinste? Weinste. Später stehn um dich herum Vaterland und Fahnen; Kirche, Ministerium, Welsche und Germanen. Jeder stiert nur unverwandt auf das eigne kleine Land. Jeder kräht auf seinem Mist, weiß genau, was Wahrheit ist. Aber du, mein guter Mann, siehst dir die Gesellschaft an … Na, und dann – was machste? Lachste. Mutterns Hände Hast uns Stulln jeschnitten un Kaffe jekocht un de Töppe rübajeschohm – un jewischt und jenäht un jemacht und jedreht ... alles mit deine Hände. Hast de Milch zujedeckt, uns Bobongs zujesteckt un Zeitungen ausjetragen – hast die Hemden jezählt und Kartoffeln jeschält ... alles mit deine Hände. Hast uns manches Mal bei jroßen Schkandal auch n Katzenkopp jejeben. Hast uns hochjebracht. Wir wahn Sticker acht, sechse sind noch am Leben ... Alles mit deine Hände. Heiß warn se un kalt. Nu sind se alt. Nu bist du bald am Ende. Da stehn wa nu hier, und denn komm wir bei dir und streicheln deine Hände.