"Dann waren plötzlich drei Riesenkerle im Hausflur!" - #11ESD - Edith Horowitz

Ein Stück Deutschland - Der Podcast - A podcast by Corinna Below (Initiatorin & Journalistin) & Carsten Janz (Journalist)

Edith Horowitz berichtet im Interview von 2004 von einer Überfall auf ihren Verlobten. Eines abends bringen Edith, ihr Verlobter und die Schwester eine Freundin zur Bushaltestelle am Berliner Hansaplatz. Das muss Ende 1937 oder Anfang 1938 gewesen sein. Als sie zurück kommen und schon im Hausflur stehen, klopft plötzlich ein Junge von draußen an die Tür. Edith Horowitz klopft auf den Tisch und dann erzählt sie weiter: „und mein Mann, freundlich wie immer, machte dem Jungen die Tür auf. Dann waren plötzlich drei Riesenkerle im Hausflur. Riesengroße Männer, junge Leute, die gleich auf meinen Mann einschlugen.“ Mit der Zeit heilen solche Wunden, doch ist ihr 70 Jahre später die Empörung immer noch anzusehen. Sie erzählt weiter, wie sie und ihre Schwester rauslaufen, um Hilfe zu holen und niemand weit und breit zu sehen ist, „Ich weiß aber auch nicht, ob sich einer eingemischt hätte,“ sagt sie heute. Damals hat sie noch daran geglaubt. Der Geschlagene kommt mit einem blauen Auge davon. Doch später wird sich herausstellen, dass es eine Augenverletzung ist, die ihn fast völlig erblinden lässt. Edith Horowitz sucht auch heute noch nach einer Erklärung. „Ich nehme an, die Männer haben gedacht, der jüdische Junge geht da mit zwei Arierinnen,“ denn sie und ihre Schwester waren blond. Heute ist ihr Haar schneeweiß. In dieser Folge haben wir den Sozialwissenschaftler und Antisemitismusexperten Daniel Poensgen zu Gast. Er promoviert zum Verhältnis von politischer Kultur des Staates und Antisemitismus und arbeitet als wissenschaftlicher Referent des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS). RIAS ist eine Meldestelle für antisemitische Vorfälle: Betroffene und Zeug*innen können ihre Erlebnisse auf der Webseite, aber auch telefonisch, über Social Media oder per E-Mail melden. RIAS dokumentiert die Vorfälle aus Perspektive der Betroffenen und vermittelt bei Bedarf weitere Beratung. Nachdem das Projekt mit RIAS Berlin startete, kooperieren derzeit im Rahmen des Bundesverbandes RIAS Meldestellen aus mehreren Bundesländern miteinander. Mit Daniel Poensgen sprechen wir über die antisemitische Gewalt, die Edith Horowitz und ihr Verlobter in Berlin 1938 erlebt haben. Wir reden aber auch darüber, inwiefern so ein Vorfall auch heute noch passieren kann oder passiert. Daniel Poensgen erzählt, wie viele Vorfälle antisemitischer Gewalt es heute gibt, wie Jüdinnen und Juden Gewalt und Beleidigungen erleben, ob sie sich, wie Edith Horowitz damals, möglicherweise auch heute durch die Polizei nicht geschützt fühlen. Und zuletzt geht es auch darum, was jede*r einzelne heute gegen antisemitische Gewalt tun kann.

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